Görlitz - Pfingsten 2017

Görlitz - eine Stadt die auf meiner Bucketlist schon eine Weile ziemlich weit oben stand. Jeder der schon mal hier war schwärmt und ich schwärme jetzt mit.

Architektur:
Ich gucke mir gern schöne Dinge an, dazu zählt auch Architektur und hier komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Im Krieg hat Görlitz nichts abbekommen, jedoch lag die schöne Bausubstanz zu DDR Zeiten und auch noch nach der Wende im Dornröschenschlaf. Erst durch EU-Fördergelder, einem anonymen Spender der von 1995 bis 2016 jedes Jahre eine Million DM überwies (was für eine schräge spannende Story) und Geldern nach dem Hochwasser erstrahlt sie heute wieder in üppigen Glanze. Ich war schon in vielen deutschen alten schönen Städten aber so viele erhaltene vers. Baustile habe ich in dieser Fülle und Schönheit noch nie gesehen. Wunderschöne Gründerzeitviertel mit prachtvollen Wohngebäuden, barocke und mittelalterliche Gebäude, gotische Kirchen und Jugendstil Elemente (meine liebste Stilepoche), unter anderem im Bahnhof und im berühmten Görlitzer Kaufhaus. Alles ist in der Stadt zu finden. Es gibt wenig Neubaublöcke und so ziemlich alles sieht schön und gepflegt und ansehenswert aus.




 






Grenzstadt:

In welcher Stadt kann man schon sein Abendessen in Deutschland zu sich nehmen und 5 m weiter den Nachtisch in Polen?! Zgrozelec und Görlitz sind nur durch die Neiße getrennt und durch die 2004 eröffnete Fußgängerbrücke verbunden, sodass man in Nullkommanix in Polen ist. Es gibt auch einen Grenzübergang für Autos wo es gleich einige Tankstellen gibt. Gefühlt ist es nur eine Stadt aber wenn man ein paar Meter weiter hinter die Neiße Promenade geht, dann sieht man, dass man in einer anderen Welt ist. Die Häuser sind nur zu Teilen renoviert. Stellenweise sieht es echt traurig aus und die Zigarettenläden und Nachtclubs lassen das stereotype Polenbild aufkommen. Das Essen ist vermutlich nicht so viel günstiger als auf der deutschen Seite aber bei Sprit und Zigaretten kann man einiges sparen. Irgendwie verrückt, dass eine andere Welt mit anderer Währung nur eine Fußgängerbrücke entfernt liegt.


 



Stadtpark
Landeskrone:
Der Hausberg von Görlitz. Irgendein kluger Mensch hat mal die Straßenbahnlinie bis an den Fuß des Berges gelegt. (Können wir mal darüber reden, dass eine 55.000 Einwohnerstadt eine Straßenbahn mit mehreren Linien hat?! Sowas gibts glaub ich auch nur hier). Von der Stadtmitte geht es für 1,50 bis zur Endhaltestelle Bienitz/Landeskrone und von dort dann steil nach oben. Erst geht der Weg etwas versteckt durch eine Siedlung und dann eine steile Treppe hinauf. Gut ausgebaut aber trotzdem anstrengend bei sommerlichen Temperaturen. Wenn man die steile Treppe geschafft hat, kann man erst mal auf einer schönen Bank im Wald pausieren und dann über die Straße oder steil den direkten Weg auf den Gipfel nehmen. Wenn man die Straße geht, hat man unterwegs noch einige schöne Sitzmöglichkeiten und Ausblicke. Von der Straße geht kurz vor Ende der sogenannte Schlangeweg ab. Eine kurze Strecke über Stock und Stein von der man zum Bismarckturm abzweigen kann, nein ich finde sogar man sollte unbedingt abzweigen, denn die Stelle dort ist wesentlich schöner als der eigentliche Gipfel. Man guckt auf einen kleinen Ort und den Berzdorfer See. Der perfekte Ort für ein Picknick. Wer es etwas zivilisierter mag geht in den Gasthof auf dem Gipfel. Schöner Biergarten allerdings ohne jegliche Sicht, weshalb ich es dort persönlich eher nicht schön fand. Man sollte kostenlos noch auf den morschen Aussichtsturm steigen und den rundum Blick auf Görlitz und Umgebung genießen. Zurück zu kann man einen der Waldwege bzw. Naturlehrpfade gehen um seine Knie bei der Treppe zu schonen. Die Laneskrone war eine willkommen Abwechslung zum Stadtleben und schon deshalb empfehlenswert. Es gibt eigentlich auch eine kleine Bahn die alten Leuten den Aufstieg erleichtert. Alle anderen beißen die Zähnen zusammen, wandern und genießen die wunderschöne Natur.






Food und Konsum:
Es gibt hier so unfassbar viele Lokalitäten. Überall gibt es ein kleines Cafe, einen Hinterhof, einen zünftigen Biergarten oder ein klassiches deutsches Restaurant. Verhungern kann hier keiner.
Ich war im Cafe Kugel und im Cafe Herzstück. Beide liegen fast nebeneinander in der Weberstraße. Eine kleine Seitenstraßen die vom Untermarkt abgeht. Beides ist wunderhübsch eingerichtet, hat süße Innenhöfe in denen man verweilen kann und ein tolles Angebot für Veganer und Vegetarier mit saisonalen und regionalen Produkten. Beides sehr preiswert und uneingeschränkt zu empfehlen.
Außerdem gibt es in der Innestadt vers. Ketten wie Norma und andere Lebensmittelgeschäfte und der Bautzener Senfladen verkauft, zu meiner großen Freude sogar eine preiswerte Sangria To Go aus seinem Straßenverkaufsfensterchen.
Es gibt erstaunlich viele Geschäfte. Görlitz ist ungefähr so groß wie Lutherstadt Wittenberg (wo ich eigentlich her komme), hat aber das doppelte an Geschäften. Viele der üblichen Verdächtigen wie Dm und H&M aber meist in kleinere Altstadthäuser integriert, sodass das Bild immer stimmig bleibt. Außerdem habe ich einige Fachläden entdeckt, wie einen Laden wo es nur Besteck gab, ein Laden für aufgearbeitett alte Möbel oder kleine Porzellanläden. Ich finde es immer wünschenswert wenn in der Altstadt auch noch kleine Inhabergeführte Läden zu finden sind und davon gibt es in Görlitz einige wenn man nur richtig hinguckt.
Ein weiterer Geheimtipp ist die Fleischerei (einer meiner absoluten Lieblingsläden - nicht!) in der Bismarckstraße. Ein wunderschöner alter Laden mit alten Fliesen, ähnlich wie Pfunds Molkerei Dresden. 
Jugendstileinkaufspassage
Cafe Kugel



Fleischerei
Cafe Herzstück


Görliwood:
Ich habe an einem Stadtrundgang zum Thema Film teil genommen, denn Görlitz oder auch Görliwood, hat sich in den letzten Jahrzehnten zur Filmstadt gemausert, vor allem wegen der Straßenbahn und der perfekt erhaltenen Innenstadt, die Kulisse für sämtliche Epochen sein kann. Diese Vorteile hat auch Hollywood entdeckt und hier unter anderem Der Vorleser, Inglorius Bastards oder The Grand Budapest Hotel gedreht. Der Stadtrundgang findet nur zu bestimmten Terminen statt und kostet 9,50 €. Meine Gruppe war recht groß und wurde durch 2 Stadtführer betreut. Beide erzählten interessante Geschichten zum Filmgeschehen. Man sah Drehorte und bekam Zeitungsausschnitte gezeigt. 2 h und keine allzu große Runde. Ich war am Ende nicht ganz so begeistert, da wir viel mehr standen als gelaufen sind und z.B. vor dem Grand Budapesthotel, bzw. dem alten Jugendstilkaufhaus Görlitz, nahezu nichts zu dem Film erzählt bekamen und auch keinen Blick in das Kaufhaus. Somit war der Rundgang ganz nett aber muss man nicht unbedingt machen. Ich hatte dann noch großes Glück, dass jemand aus der Runde fragte wann das Kaufhaus mal für Besichtigungen geöffnet sei und heute war so einer der wenigen Tage, an dem das seit 2009 geschlossene Ex-Hertie Kaufhaus für Neugierige offen stand. Deshalb nach der Führung nichts wie hin da. Wow! Ich liebe Jugendstil und hoffe, dass der neue Investor die wunderschönen filigranen Elemente auch so belässt und nichts neumodisches daraus macht. Auf die Frage wann denn das Kaufhaus neu eröffnet wird (ich hatte in älteren Zeitungsartikeln was von Frühjahr 2017 gelesen), antworteten die Leute vom Stadtrundgang übrigens, dass geplant ist, noch vor der Eröffnung des BER das Kaufhaus zu öffnen. Scheint also leider auch eine "Never Ending Story" zu sein. Echt schade drum. Die wunderschöne Freitreppe aus dem Film, ein Lichthof mit Jugendstildachfenstern und Kronleuchtern. Ein Architekturschatz, der hoffentlich bald wieder zu neuem Leben erweckt wird.





The Grand Budapest Hotel






das Kino aus Inglourious Basterds

Tierpark:
Ich bin bekennender Tierparkfan. Kein Zoo ist vor mir sicher. An jedem Ort an dem ich bin versuche ich einen Zoo, Tierpark oder ähnliches zu besuchen. Ich habe somit schon verdammt viel gesehen. Der Loro Parque auf Teneriffa, die Riversafari in Singapur, Tierpark Schönbrunn in Wien. Alle wunderschön aber so ein kleiner heimischer Naturtierpark kann in mir auch Begeisterungsstürme auslösen. Man darf keine zu wilden Exoten erwarten obwohl hier und da mal ein Känguru oder ein Geier zu finden sind, gibt es hauptsächlich heimische Tiere wie Kühe, Ziegen, Waschbären aber auch Kamele, Stachelschweine oder meine Lieblinge die Alpakas. Die Fläche ist sehr schön bebaumt (das ist kein echtes Wort, hm?!), d.h. viel Schatten und so ein Waldgefühl. Es gibt einen Bauernhof mit Schweinen, Küken und Hasen aber auch ein Tibetdorf mit vers. Dingen zum Angucken und Ausprobieren. Viele Spielplätze und vers. Picknickmöglichkeiten oder Snackangebote. Der Eintritt ist mit 5,90€ für Erwachsene sehr human. Alles ist in deutsch und polnisch beschildert, was ich auch sehr interessant fand. Der Tierpark ist deshalb so besonders weil vielerorts versucht wurde auf klassische Käfige zu verzichten. Die Murmeltiere rennen z.B. frei herum. Es gibt einige Streichelgehege wo die Tiere aber trotzdem die Möglichkeit haben dem Mensch aus dem Weg zu gehen. Ein echtes Muss für Kinder und Erwachsene die im Herzen Kinder geblieben sind.
























Turmbesteigung:
Spontan ist immer am Besten. Es gibt viele Türme in der Stadt, die man immer zur vollen Stunde besichtigen kann. Ich war Pfingstmontag 14 Uhr gerade in der Nähe des Rathausturmes. Und so entschied ich mich spontan für 4€ an einer Führung teil zu nehmen und muss sagen, dass mir das am Ende fast am besten gefallen hat. Die nette Frau vom Kulturförderverein war so sympathisch und hat alles in ihrer niedlichen Art und in schönstem Ostdeutsch erklärt. Das Wetter war nicht ganz so klasse aber die Sicht war ok. Der Aufstieg wäre unter normalen Umständen eigentlich nix für mich Schisser gewesen, denn die schmalen Treppchen waren recht durchsichtig. Aber so folgte ich der netten Dame und hinter mir noch einige andere Leute und konnte nicht weiter drüber nachdenken, dass ich normalerweise Angst hätte. Auf dem Weg zum Turm zeigte sie uns den mittelalterlichen Rathaushof, der früher als Gerichtshof diente und das Standesamt. Außerdem durfte jeder mal den Löwen brüllen lassen. Im Turm gibt es einen Knopf der 2 Orgelpfeifen antreibt die einen merkwürdigen Ton von sich geben. Außen am Turm ist ein goldener Löwe, der dann quasi brüllt. Wenn man in der Stadt unterwegs ist, wundert man sich immer über dieses merkwürdige Geräusch, dass zu unkontrollierten Zeiten erklingt aber kein Wunder, wenn es einfach nur durch Turmbesucher ausgelöst wird. Oben war der Turm eher auch nicht so meins, da das Geländer auch so durchsichtig war. Eine Steinbrüstung ist mir ja immer viel lieber als so ein filigranes Geländerchen aber auch hier ging es diesmal ohne zittrige Knie. Von oben sah man dann nochmal den krassen Unterschied von Görlitz und Zgorzelec. Auf der deutschen Seite wunderschöne Häuser und auf der polnischen Seite hauptsächlich unsanierte Neubaublöcke. Schlimm was die Nachkriegstadtteilung der einstigen gemeinsamen Stadt angetan hat. Außerdem sah man von oben die vielen hübschen Dachterrassen und bekam von der netten Führerin noch Tipps was man sich im Umland angucken könnte. Absolut empfehlenswert dieser Turmaufstieg.







Meine Unterkunft:

Meine Unterkunft war ein wenig anders, was mir aber vorher nicht bewusst war, was im Nachhinein aber auch gar nicht schlimm war. Meine Pension war in einem christlichen Jugendzentrum und war hauptsächlich für Pilgerer gedacht. Ein großes altes Gebäude mit einem großen Saal und vers. kleinen Zimmerchen. Ich denke, dass es vielleicht mal eine Art Mutter-Kind Heim war. Jeden Tag war dort was los. Kirchenkonzert, eine polnische Hochzeit oder ein Kinderfest. Die Zimmer sind sehr schlicht aber mit eigenem Bad und sauber. Es gibt keinen Fernseher aber eine Bibel neben dem Bett. Aber einen Fernseher benutze ich ja eh nicht und die Bibel kann man auch unter den Tisch legen. Das Zimmer kostet gerade mal 28 € und ist recht zentral gelegen. Ca. 15 Min zu Fuß zum Bahnhof. Die Straße 1 Min lang runter zur Neiße und maximal 5 Min bis zum Untermarkt. Das Frühstück für 5 € war dann besser als erwartet mit Obst, Ei und Joghurt. Die meisten dort waren wohl auch Pilgerer, denn ich stach optisch ein wenig heraus. Wer zentral und günstig nächtigen möchte und kein Wert auf SchnickSchnack legt, dem kann ich die Pension zur Wartburg in der Johannes Wüstenstraße ans Herz legen.


Contras:
Was mir extrem negativ aufgefallen ist, die Locals sehen zumeist richtig assig aus. Ich war irgendwie total geschockt. Ok es ist eine Stadt im tiefsten Osten und die haben ihren schlechten Ruf nicht umsonst aber bei solch einer schön restaurierten und kultivierten Stadt wie Görlitz hätte ich nicht so viele RTL 2 Zuschauer und Bilderbuch Möchtegern Nazis erwartet. Da wurden die dicken Männerbäuche Oberkörperfrei mitten in der Altstadt präsentiert (oh wie ich das verabscheue. Zieht euch was an!), Chantalle ruft ihren Justin im schlimmsten Gossenjargon über den ganzen Platz und der Vorzeigepenner pöbelt aggressiv die Touristen voll. Jawoll. Menschen denen man ihren Zimmertemperatur IQ sofort ansieht. Ich will jetzt nicht sagen, dass alle Görlitzer so sind, Ich habe durchaus kultivierte "normale" Locals getroffen aber die Assis halten sich hier halt nicht in ihrem Neubaublockghetto auf (weil es keins gibt) sondern vermischen sich mit anständigen Locals und Touristen in der Innenstadt.

Fazit:
Jeder sollte sich mal auf nach Görlitz machen. So eine schöne alte erhaltene Stadt muss besichtigt werden!


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